Systematische Theologie

Matthias Schleiff: Schöpfung, Zufall oder viele Universen?

Matthias Schleiff: Schöpfung, Zufall oder viele Universen? Ein teleologisches Argument aus der Feinabstimmung der Naturkonstanten, Collegium Metaphysicum 21, Tübingen: Mohr Siebeck, 2019, Pb., XII+318 S., € 69,–, ISBN 978-3-16-156418-5


An den Grenzen zwischen Philosophie und Theologie wurde immer über die Möglichkeit von Gottesbeweisen nachgedacht. Thomas von Aquin (1225–1274) schließt aus der „zielstrebigen Tätigkeit“ in der Natur deduktiv auf einen „Geber“ dieser Ziele. David Hume (1711–1776) wandelt dieses sogenannte „teleologische Argument“ (ein Argument aus der Zielgerichtetheit) leicht ab: Weil das Universum einer „Maschine“ gleicht, muss es analog zu einer Maschine intelligent gefertigt sein: „Aus ähnlichen Wirkungen schließen wir [induktiv] auf ähnliche Ursachen“, David Hume, Dialoge über natürliche Religion, Hg. Lothar Kreimendahl, PhB 658, Hamburg: Meiner, 2016 (engl. 1779), 28.

Matthias Schleiff knüpft in seiner Dissertation (bei Michael Beintker an der Ev.-Theol. Fakultät der Universität Münster 2017) an diesen Denkmustern an. Er beginnt mit einer Kritik von Thomas und Hume und möchte den Kern des teleologischen Arguments in die Moderne retten. Die Aufgabe eines modernen Philosophen besteht darin, konkret darzustellen, woran die Zielgerichtetheit des Universums glaubhaft zu erkennen sei (42).

Schleiff denkt, dies an der Feinabstimmung kosmischer Parameter zeigen zu können: „Ein fundamentaler kosmischer Parameter K ist ‚feinabgestimmt‘ genau dann, wenn die Aussage wahr ist: ‚Wenn K nur ein wenig von seinem tatsächlichen Wert abwiche, wären bewusste Beobachter in unserem Universum unmöglich‘“ (50).

Im Gegensatz zu Begriffen wie „Schönheit des Universums“ oder „Zweckmäßigkeit der Mittel in der Natur“ sind Naturkonstanten empirisch bestimmbare, physikalische Messgrößen (53). Einstein hatte zwar Mühe damit, dass bestimmte, voneinander scheinbar unabhängige Zahlen in den elementaren Theorien so eine bedeutende Rolle spielen sollten („Gott würfelt nicht!“). Bis heute ist aber die „Einheitstheorie“ ausstehend.

Feinabstimmung kosmischer Parameter bedeutet: Es ist „überraschend“, dass ein bestimmter Parameter genau diesen Wert hat, d. h. es schreit nach einer Erklärung! Schleiff stellt nun eine ganze Liste von feinabgestimmten Parametern der Kosmologie zusammen (mit Bezug auf Carl Friedrich von Weizsäcker, Stephen Hawking, u. v. m.): Das Verhältnis zwischen elektromagnetischer und gravitationeller Anziehung (N=1036), die Größe der Starken Kernkraft, beschränkt allerdings auf den subatomaren Bereich, die Expansionsenergie des Universums, seine Entropie, usw. (77–92).

All diese Koeffizienten dürfen nach Erkenntnis der Physik höchstens im Promillebereich (und teilweise wesentlich weniger) abweichen, ohne die Struktur des Universums massiv zu verändern und damit die Existenz bewusster Beobachter zu gefährden.

Wie sieht nun aber ein Argument aus, das von der Feinabstimmung auf den Schöpfer schließt? Schleiff sieht in einem „Schluss auf die beste Erklärung“ (Abduktion, 94) eine Argumentationsstruktur, die den alten induktiven, bzw. deduktiven Beweisführungen überlegen ist. Das Schlussverfahren respektiert die Tatsache, dass es konkurrierende Hypothesen für die Entstehung eines zielgerichteten Universums gibt: „(1) Es gibt ein überraschendes Phänomen C. Es bedarf der Erklärung. (2) … Wenn die Hypothese A wahr wäre, wäre das Phänomen C nicht mehr überraschend. (3) Die Hypothese A erklärt das überraschende Phänomen C besser als die mit ihr konkurrierenden Erklärungshypothesen.“ Um dem Vorwurf des „Bad Lot“-Arguments (Bas van Frassen) zu entgehen, wonach sich unter den vorhandenen Erklärungen keine wirklich gute finde, formuliert Schleiff den Schluss zurückhaltend: „Also: (4) Es ist rational gerechtfertigt, die Hypothese A zu akzeptieren“ (121).

Warum nun erklärt die Hypothese eines Schöpfers die Feinabstimmung der Naturkonstanten besser als andere Hypothesen?

Das teleologische Argument hat zwei Teilschritte: Es schließt von Ordnungsmustern auf eine Zielgerichtetheit, und dann von den vorausgesetzten Zielen auf einen Planer (134). Es ist möglich, nicht beide Teilschritte mit zu vollziehen. Allerdings hat eine Position, die auf einen „personalen Planer“ (Schritt 2) verzichten möchte, die Begründungslast zu zeigen, „was einen ‚Plan‘ ausmacht, der nicht der Plan einer handelnden Person ist“ (137). Inwiefern der „persönliche Schöpfer“ allerdings dem christlichen Gott entspricht, muss das philosophische Argument offenlassen.

Mit zwei alternativen Hypothesen setzt sich Schleiff nun ausführlicher auseinander. Das „Anthropische Prinzip“ behauptet: Es ist zu erwarten, dass das Universum, das wir beobachten können, Eigenschaften hat, die Beobachter möglich machen (162, nach Brandon Carter). Es lässt sich jedoch zeigen, dass sich daraus keine Erklärung ableiten lässt, die die Feinabstimmung weniger überraschend macht. Noch liefert es einen Grund, deswegen nicht mehr nach Erklärungen für die Feinabstimmung zu suchen.

Die zweite Auseinandersetzung gilt den „Multiversums-Theorien“. Die Annahme einer Vielzahl paralleler (oder serieller) Universen würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass zumindest in einem – unserem – Universum die Bedingungen für intelligente Beobachter gegeben wären. Somit wäre diese Tatsache nicht mehr erstaunlich und erklärungsbedürftig.

Neben der Tatsache, dass parallele Universen sich unserer Beobachtung genauso entziehen wie ein transzendenter Schöpfer (216–219), ist auch unklar, wodurch sich die Vielfalt solcher Universen auszeichnet, bzw. wie viele es logischerweise geben müsste. Der eigentliche Schwachpunkt liegt aber daran, dass eine Multiversumshypothese kein empirisches Risiko eingeht: Sie ist eigentlich nicht falsifizierbar: „Gleichgültig, was geschieht – die Multiversumshypothese hat es vorausgesagt.“ Dagegen fordert Karl R. Popper, Vermutungen und Widerlegungen. Das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis, Hg. Herbert Keuth, Tübingen: Mohr Siebeck, 22009 (engl. 1963), 53: „Jede ‚gute‘ wissenschaftliche Theorie ist ein Verbot: Sie verbietet das Eintreten bestimmter Ereignisse. Je mehr sie verbietet, desto ‚besser‘ ist sie“ (zitiert auf S. 220).

Es sind also gerade die skeptischen Fragen an die Schöpferhypothese, gegenüber denen sie sich rechtfertigen muss, die sie zu einer ‚guten‘ Theorie machen. Sie ist ganz offensichtlich hinterfragbar, hat aber den Anspruch, wirklich zu erklären (221).

Gegen „Anthropisches Prinzip“ und „Multiversumshypothese“ lässt sich als gewichtigstes Argument jedoch anführen, dass die kosmischen Parameter für diese beiden „Theorien des Zufalls“ eigentlich in zu hohem Masse feinabgestimmt sind. Die effektiven Werte dieser Parameter liegen nämlich in unserem Universum nie am Rand der geforderten Bandbreite, sondern „auffällig in deren Mitte“ (223).

Schleiffs Dissertation ist ein Ausnahmewerk. Es liest sich trotz seiner anspruchsvollen Thematik hervorragend dank einer großartigen Leserführung und der anschaulichen Entfaltung aller logischen Argumentationen. Wer es liest, gewinnt quasi im Nebengang Einblick in aktuelle Theoriebildungen der Kosmologie.

Das Buch ist aber auch ein hervorragendes Beispiel einer interdisziplinären Arbeit. Die Art des Zusammenspiels von Philosophie und Theologie mit der Physik leuchtet intuitiv ein. Obwohl Schleiff einen dezidierten Schluss zugunsten der Schöpferhypothese zieht, wirkt er in vielem unvoreingenommener und offener als seine Vordenker, die zumeist als Naturwissenschaftler schrieben.


Giancarlo Voellmy ist Pfarrer der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Linden/CH.